Freitag, 30. September 2016

"Wovon unsere Seele sich nährt..."

"Wovon unsere Seele sich nährt,
das ist das Gedicht, in welchem, wie im Sommerabendwind,
der über die frisch gemähten Wiesen streicht. zugleich ein Hauch von Tod
und Leben zu uns herüberweht, eine Ahnung des Blühens, ein Schauder
des Verwesens, ein Jetzt, ein Hier und zugleich ein Jenseits, ein
ungeheueres Jenseits. Jedes vollkommene Gedicht ist Ahnung und
Gegenwart. Sehnsucht und Erfüllung zugleich. Ein Elfenleib ist es,
durchsichtig wie Luft, ein schlafloser Bote, dem ein Zauberwort ganz erfüllt;
den ein geheimnisvoller Auftrag durch die Luft treibt;
und im Schweben entsaugt er den Wolken,
den Sternen, den Wipfeln, den Lüften den tiefsten Hauch ihres Wesens,
und der Zauberspruch aus seinem Munde tönt getreu und doch wirr,
durchflochten mit Geheimnissen der Wolken, der Sterne, der Lüfte."

Hugo von Hofmannsthal  geboren und gestorben 1929 in Wien
Mitbegründer der Salzburger Festspiele

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